Gerade als der berüchtigte Hohlkopf Giovanni De Prossa zum dritten Mal aus dem Bett fiel, weil er beim Ficken so unkontrolliert mit den Armen wedelte, klingelte es an der Tür. Klingeln trifft es nur schlecht, denn mit dem ersten Klingelton begann Franz auch sogleich am Türknauf zu rütteln und laut zu rufen: »Bruno! Bruno! Ich weiß, dass du da bist!« Dabei hatte ich doch nie etwas anderes behauptet, aber jetzt hätte ich mich gerne erst recht im hintersten Winkel eines Schranks versteckt und die Luft angehalten, bis die aufgeregte Stimmung meines Freundes verschwunden wäre. Oder besser, dachte ich, ich nehme mir Ohrenstöpsel und lege mich einfach hin, aber zu meiner großen Überraschung – man kennt sich eben selbst nicht wirklich gut –, nahm ich die Kassette aus dem VHS-Rekorder und öffnete die Tür. Anstatt mich für meine abenteuerliche Leidenstoleranz zu feiern, kam mir Franz Sebastian mit Vorwürfen:
»Was kann denn da so lange dauern? Willst du mich auf dem Gang erfrieren lassen? So weit ist es mit mir schon gekommen, dass ich hier auf dem Gang mit weißem Kalk zugeschneit werde, während du dich in deiner warmen Wohnung am Cognac und irgendwelchen Vintage-Playboy-Heften erfreust.«
Er war sauer, dass es nicht geklappt hatte, seinen Roman mit Sex zum Skandalbestseller aufzupimpen. Hatte er in den Monaten vor der Veröffentlichung doch den Mund gar nicht mehr zubekommen vor lauter »Was ist denn der philanthropische Antagonismus anderes, als ein unabstraktes Ficken, dem es völlig egal ist, ob ihm ein Wollen oder ein Nichtwollen zugrunde liegt?« oder sich für eine Form einer sexuell-kommunistischen Disruption starkgemacht. In Interviews schwärmte er von einer Gesellschaft, die Männern und Frauen sexuelle Wanderjahre auferlegte, in denen sie, operativ zum anderen Geschlecht gemacht, ficken konnten, was das Zeug hielt, bevor sie wieder in ihr ursprüngliches Geschlecht transformiert wurden, wenn sie das noch wollten. Zum einen, um den gegenseitigen Respekt vor den Gefahrenzonen zu schüren, aber konkret vor allem darum, damit die Frauen endlich lernten, wie man einen Penis anfasst, ohne ihn grün und blau zu kneten. Aber dann floppte sein Buch, und ein düsterer Griesmut legte sich über seine spielerische Freude am Geschlechtlichen. Seither rümpfte er jedes Mal die Nase, wenn die Sprache auf Sex kam, dann drehte er sich um und machte: »Pffhh!«
Doch jetzt stand er vor meiner Tür, aufgedreht und bereit, mich stundenlang mit Vorwürfen zu quälen. Das würde ich nicht aushalten. Um Franz den Wind aus den Segeln zu nehmen, streichelte ich langsam seine Wange und sagte: »Du hast recht. Ich hätte dich nicht so lange warten lassen sollen. Wie dumm von mir.«
Für einen Moment verengten sich seine Augen zu einem erbosten Blick, weil ich ihm das schöne Schimpfen verleidet hatte, dann fasste er sich und betrat die Wohnung.
Sogleich kam Baxter herangetrottet und drückte seine Nase in Franzens Schritt. Franz quiekte beschämt und schob Baxters Schnauze weg. Anscheinend war es genau diese Art von kecker interessierter Zärtlichkeit, die Franz gebraucht hatte, um sich zu beruhigen. Er atmete durch.
»Ich hab eine fantastische Idee, um wieder zu Geld zu kommen, Bruno, und du wirst mir dabei helfen!«
»Bei dir piept’s wohl!«
»Wir leben vielleicht in den letzten Sekunden der Geschichte, in denen es noch möglich ist, mit einer Idee zu Geld zu kommen.«
»Wer sagt das? Habe ich das gesagt?«
»Deshalb müssen wir jetzt schnell sein. Wir dürfen nicht lange warten.«
»Du vergisst, dass ich ausgesorgt habe, Franz. Mir geht’s blendend. Ich habe keine Nachkommen, um die ich mich sorgen muss, mein Überlebenskampf ist ausgekämpft. Ich muss nur noch zusehen, dass ich mit meinem Reichtum gut haushalte und meine Freunde nicht zu sehr verwöhne.«
»Das ist natürlich das größte Risiko, da gebe ich dir recht, dass sich der beste Freund in der Welt nicht mehr zurechtfindet und trotz seines gewaltigen Talents Hunger leiden muss, weil sich die Spielregeln heimlich so geändert haben, dass nur noch die Dümmsten und Dreistesten auf den Podesten stehen.«
»Du hast eben vergessen, dich vom System kaufen zu lassen, und jetzt jammerst du rum.«
»Ich jammere gerade nicht rum. Das ist es, was ich dir sagen will. Ich habe einen gewaltig guten Plan, um mein Ruder herumzureißen. Mein Ruder, das mehr und mehr zu einem Anker wurde, der mich an den Grund des Meeres zog, habe ich in einen Pfeil verwandelt, der mich zur Sonne schießen wird.«
»Jetzt komm endlich zum Punkt. Selbst Baxter legt schon die Ohren an.«
»Wann immer man mit einem Schriftsteller redet, hört man nur Klagen über Klagen. Das Schreiben könnte so viel Freude bereiten, wenn nicht die vielen Natur- und Stadtbeschreibungen wären. Da sitzt man am Schreibtisch und birst vor Ideen, wie es in der Handlung nun weitergeht, und dann muss man erst all die Zweiglein und Gräser des Waldes und die prächtigen Wurstkränze auf dem Bauernmarkt beschreiben, die Geräusche der Großstadt, die Äderchen auf schimmernder Haut. Da wird einem doch der Hund in der Pfanne verrückt. Seit Balzac hat es doch keinen ernst zu nehmenden Schriftsteller gegeben, der sich darob nicht die Haare gerauft hätte! Aber die Leser lieben es. Dafür bezahlen sie ja den Schriftsteller, damit sie sich nicht alles selbst ausdenken müssen. Hat nicht Adalbert Stifter gesagt, wie gerne hätte ich die Zeit zurück, in der ich mir den Kopf zerbrach über die Beschreibung von Kirschenhaut und Axtstielen, denn hätte ich mir diese Zeit wirtschaftlich zunutze gemacht, dann wäre ich jetzt ein Krösus, der die Brüste meiner Landsleute zum Schwellen bringt, mit seinen Supermoneten?«
»Den Satz hast du doch gerade eben erfunden«, entgegnete ich, und um auch das Offensichtliche zu äußern: »Adalbert Stifter hätte doch nie das Wort ›Supermoneten‹ gewählt.«
»Du sagst es! Stundenlang wäre der zerknirschte Zausel am brotharten Schreibtisch gesessen, um sich ein schöneres, passenderes Wort herauszuklauben. Und dabei hätte er in der vergeudeten Zeit über duftende Wiesen flanieren können, einem Zeppelin nachlaufen, einem Dromedar im Zoo die Zunge zeigen oder den Daumen im Schoß einer erfreuten Mademoiselle vergraben können, und ich habe das eben so spontan rausgeschossen, wie ich übrigens gerade den ganzen Satz einfach so erfunden habe.« Er grinste mich stolz an. »Die Dichter haben es zu schwer. Das wissen wir beide doch am besten. Es wird Zeit, dass ihnen jemand zuhilfe kommt.«
»Lass mich überlegen. Wer könnte denn den Dichtern bloß zuhilfe kommen?«
Franz strahlte übers ganze Gesicht. Er war im Begriff seine Hand zu heben, aber so einfach wollte ich es ihm nicht machen. Ich drehte mich zur Seite und betrachtete eingehend die Zimmerwand.
»Na, ich natürlich«, platzte er heraus.
Giovanni De Prossa, der Darsteller des Fuckman, wurde von einer Nebendarstellerin auf 35.000 Euro verklagt, weil er während einer Szene versehentlich aus ihrer Vagina rutschte und seinen Penis so fest in ihren Anus rammte, dass die Unglückliche eine schmerzhafte Fissur in sieben Schnittlagen ihres Analkanals erlitt.
Franz legte seine Aktentasche auf meinen Esszimmertisch und entnahm ihr einen Karteiordner mit unzähligen vielen kleinen Kärtchen.
»Hier«, sagte Franz, »habe ich über tausendfünfhundert fix vorgefertigte Beschreibungen von verschiedenen Naturszenen. Allein in der Kategorie ›Wälder‹ habe ich über zweihundert Beschreibungen. Fichtenwald, Winterwald, karges Forstgebiet.« Gehetzt kramte er in seinem Kasten und zückte blitzschnell die entsprechenden Karteioberbegriffskärtchen.
Giovanni De Prossa versuchte einem Gerichtsprozess zu entgehen, indem er die Dame außergerichtlich ehelichte. Es wurde allerdings keine schöne Ehe, da sich die Dame weigerte, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen. Sie hatte große Angst, erneut Schmerzen zu erleiden. Sie wickelte das Leintuch um ihren Körper und drängte sich, bleich und zitternd, an den oberen Rand des Betts.
»Angenommen, du schreibst eine Szene, zum Beispiel eine Geldübergabe im Wald. Jetzt kannst du dich sorgenfrei dem Plot widmen. Vergiss das Stöhnen und das Ächzen, und kaufe dir einfach eine meiner Waldbeschreibungen. Für 50 Euro pro Beschreibung bekommst du die ungeteilten Werknutzungsrechte und musst dich nie wieder darum kümmern. Jetzt will ich dich nicht beleidigen, aber du weißt es wahrscheinlich selbst am besten, dass du nicht die Art Schriftsteller bist, von dem man sich auch nur einen Funken literarische Finesse erwartet, die Leute haben resigniert und freuen sich über deine guten Einfälle und sexuellen Explizitäten, eine gute Sprache wäre da wahrscheinlich schon zu viel des Guten, aber du kennst doch jede Menge echte Schriftsteller! Ich brauche Referenzen, Bruno. Wenn du mir hilfst, zeige ich dir ein Foto von Hilda!«
»Bitte?«
»Ich habe ein Foto von ihr. Ein neues. Wie sie jetzt aussieht.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Sei mein Parfüm, sei mein Türöffner! Mit dir komme ich weit, und du musst dir keine Vorwürfe mehr machen, weil du zu wenig tust, um die Härten meines Lebens abzufedern.«
Ich blickte zu Baxter, Baxter blickte zu mir. Seufzend zückte ich mein Handy und scrollte durch mein Telefonbuch.
Wir läuteten an der Tür von Franzobels Villa in Hietzing. Er war unsere letzte Station an diesem Abend. Franz tänzelte nervös vor der Tür, während wir warteten. Er versuchte eine optimistische Miene aufzusetzen, obwohl weder Marlene Streeruwitz, Clemens Setz oder Friederike Mayröcker auch nur einen Satz aus seiner Kartei gekauft hatten. Einzig Clemens Setz schien an einer Beschreibung eines Kräuterbeets Interesse zu zeigen, aber die Kräuter, die ihn interessierten, waren so spezifisch (irgendwelche Halluzinogene für Bergziegen), dass Franz keine Beschreibung vorrätig hatte.
»Ich kann die natürlich auf Wunsch anfertigen. Ich recherchier das und schreib das ratzfatz runter. Innerhalb von drei Tagen.«
Setz kratzte sich lange den Kopf, er fand die passenden schonenden Worte nicht, er schwieg. So wurde uns nach wenigen Minuten offenbar, dass wir gehen sollten.
Franz war natürlich klar, dass keiner oder keine der bisherig Besuchten auf seine Geschäftsidee zurückgreifen würde, aber da sie auch nicht dezidiert Nein gesagt, sondern irritiert stotternd auf eventuelle Begebenheiten in der Zukunft verwiesen hatten, fühlte er sich verpflichtet, unseren trostlosen Gesprächen etwas Positives abzugewinnen.
»Hast du gesehen, wie betroffen sie wirkten, als ich von meiner Idee erzählte? Ich glaube, ich habe mit meiner Idee einen mehr als wunden Punkt erwischt. Wenn sie sich erst mal daran gewöhnen, Hilfe zu akzeptieren – da ist ja oft viel unnötiger Stolz dabei –, dann wird das eine große Sache.«
Endlich öffnete sich die Tür; mir gingen schön langsam die ambivalenten Aufmunterungsgesten aus, die einerseits Aufmunterung signalisierten, andererseits auch Unterstützung, es sein lassen zu dürfen, schließlich war das Ganze von jeher eine Schnapsidee gewesen, aber klarerweise ist es besser, irgendetwas zu tun, als unterzugehen, ohne zu strampeln.
Ein Mann Mitte 20 öffnete die Tür. Ein echtes blondes Milchgesicht mit einem richtigen Milchbauch und herrlich teigigen Brüsten. Da musste man nichts erahnen, die baumelten frech an der frischen Luft, der junge Mann steckte in einer silberfarbenen Latexhose, die den Oberkörper bis auf zwei sich überkreuzende Hosenträger frei ließ.
»Ah«, sagte der junge Mann. »Ihr wollts zum Franzo.« Er jonglierte ungeschickt mit einer Bratpfanne und einem Geschirrtuch, um uns die Hand zu reichen, überlegte es sich dann aber aufgrund der Kompliziertheit der Dinge anders und deutete einfach in die Richtung, in die wir gehen sollten. »Der Franzo wartet schon auf euch.«
Franzobel begrüßte uns. Er wirkte jetzt schon geschafft.
»Hört mal, Burschen«, sagte er. »Was auch immer es ist, können wir es uns nicht einfacher machen, indem ich vorab einfach Nein sage, und wir lassen es einen guten Tag sein und gehen aufrecht getrennte Wege. Ich bekomme doch Gäste. Ihr wolltet vor drei Stunden hier sein. Jetzt habe ich es schon ein bisschen eilig und euer Anblick gibt mir wenig Hoffnung.«
Wie auf Befehl warf jetzt der junge Mann in der Latexhose das Geschirrtuch über die Schulter und ging in der offenen Küche zum Herd, wo er mit dem Rücken zu uns damit begann, Pilze in einer großen Pfanne knusprig zu braten.
Franz ignorierte Franzobels durchaus vernünftigen Vorschlag und setzte sich an den gedeckten Tisch, wo er seine Aktentasche öffnete. »Ich sehe«, sagte er. »Du bist ein Mann, der gerne die Kanten von den Sekunden schneidet. Unser Leben ist kurz und es gibt viel zu tun, deshalb ... mhh, das duftet aber wahnsinnig gut, was dieser junge Mann da zubereitet, bist du sicher, dass auch wirklich alle Gäste kommen? Hat vielleicht jemand kurzfristig abgesagt? Andererseits, wenn die Gäste ebenfalls alle Schriftsteller sind, ist es vielleicht überhaupt sinnvoll, wenn ich bleibe und mein Projekt allen zusammen vorschlage.« Franz war in seinem Element.
»Geh bitte!« Verärgert richtete Franzobel eine Gabel auf dem Tisch. »Ich verderbe mir doch nicht den Abend, indem ich mich mit Autoren umgebe.« Ich freute mich über diese Worte und nickte euphorisch. »Aber ich will einen schönen Abend. Deshalb habe ich mir Ringer eingeladen.«
Ohne sich umzudrehen, ließ der junge Koch einen seiner silbernen Latexhosenträger auf dem Rücken schnalzen und wackelte dabei mit seinem Hintern.
»Was für eine herrliche Vernunft!« Franz klatschte in die Hände. »Wer will nicht so viel Zeit wie möglich mit dem virilen Charme von Ringern verbringen und so wenig wie möglich mit dem Knarren des eigenen Buckels, wenn man stundenlang über den Schreibtisch gebeugt sitzt, um kleine Tröpfchenpilzgruppierungen bis zum letzten Tröpfchen zu beschreiben?«
Endlich hatte Franz seine Eröffnung gefunden, um sein Geschäft anzupreisen. Er stellte die Karteikästchen auf den Tisch und zückte Kärtchen um Kärtchen seine Kurzbeschreibungen. Unverhohlen genervt ließ Franzobel den Elevator-Pitch (es war eine lange, lange Liftfahrt) über sich ergehen. Als er von Franz direkt aufgefordert wurde, zu gestehen, welch großartige Erleichterung diese Idee für ihn sei, stand er auf und meinte nur: »Das bringt mir doch alles rein gar nichts. Ich schreibe doch fast nur noch Krimis und die spielen in der Großstadt. Außerdem klingen deine Beschreibungen viel zu altmodisch, ich habe doch einen guten, rotzigen, modernen Stil und abgesehen davon sind deine Formulierungen scheußlich. Hier zum Beispiel ...« Verächtlich zog er eine der Karten heraus. »Was soll denn das überhaupt heißen, dass ein Mondlicht wie ein portugiesischer Uhu auf den Wald scheint? Und hier: Der Himmel wirkte wie mit verbogenen Fenstergittern bestraft, da erfasste mich irrlichternde Freude und Beifallslust. Das ist doch total beknackt, und vermutlich sind deine Texte auch noch biologisch falsch, aber da müsste ich jetzt mühsam nachrecherchieren und ich habe schon genug Zeit mit euch verschwendet. Guten Abend!«
»Aber du wolltest dir doch überlegen, ob ich noch Platz habe unter deinen Gästen.«
»Ach, macht euch vom Acker, ihr Obstköpfe, nichts für ungut!«
Der junge Ringer sorgte dafür, dass die Haustür mit einem gewaltigen Rumms hinter uns zufiel.
Auf dem Weg zum Auto, die Aktentasche fest an sich geklammert, meine Franz: »Na ja, das ist jetzt mittelgut gelaufen.« Ich zuckte mit den Schultern und öffnete ihm die Autotür. Als ich starten wollte, bat mich Franz müde, noch ein bisschen zuzuwarten. Wir hatten im Auto einen guten Ausblick auf das Fenster von Franzobels Wohnzimmer. Bald kamen die Ringer in einem VW-Bus, läuteten Sturm und heulten wie Wölfe, aber auch jetzt wollte Franz nicht fahren.
Der junge Koch öffnete die Tür, und unter großem Hallo zog man in das Wohnzimmer, wo zwei Ringer Franzobel hochhoben und ein paar Mal kreisen ließen, bevor sie einander mit Faustknöchelklopfen begrüßten. Sekt wurde geöffnet, gelacht, sich zu fest auf die Schulter geklopft, und Bierdosen mit einem Schluck geleert und in der Hand zerquetscht. Bei uns im Wagen wurde die Luft immer kälter, aber jetzt den Motor anzuwerfen, hätte uns verraten.
Franz beobachte konzentriert die Szenerie, seine Lippen bewegten sich unentwegt, als würde er im Geiste schon die Worte üben, die gelungene Rede, um sich mit einer geschickten Finte unter die fröhliche Abendgesellschaft zu mogeln – und fröhlich waren sie, herrje, waren die fröhlich. Da wurde geschubst, gelacht, gewiehert, mit den knusprigen Pilzen herumgeworfen, auf Franzobels Kopf landete ein Salatblatt, worauf er dem vermeintlichen Übeltäter, dem jungen Koch, die Sauciere auf dem Haupt ausleerte. Der Abend entglitt schneller als gedacht. Schon warf sich der junge Koch auf Franzobel, Franzobel schulterte ihn überraschend behände und warf ihn auf den Tisch, der in sich zusammenkrachte. Als dann ein zwei Meter großer Hüne im Piratenoutfit auf einen Kasten stieg, um von dort aus seine Anaconda auf Franzobel zu werfen, war der Spaß perfekt. Später, als alle fröstelnd vor Kälte auf der Terrasse standen, um zu rauchen und zu kichern, resignierte Franz. Er beendete seine lautlosen Sätze, seine Lippe sackte zitternd ab, er stieß einen lang gezogenen Seufzer aus, sammelte sich noch einmal kurz, und deutete mir, den Wagen zu starten.
Auf dem Weg in die Innenstadt zeigte mir Franz das Bild seiner Schwester. Ich kaufte ihm zwanzig Waldbeschreibungen ab. Wir fuhren über die Höhenstraße in die Stadt. Wie schnurrende Schlangen rieselten die Schneeflocken in die Wipfel der Bäume.
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Triumph des Scheiterns
von Peter Waldeck
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ISBN 978-3-903184-42-8
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